Schon als Kind fragst du dich, was an dir dran ist, dass die anderen dich nicht mögen. Warum ärgert man ausgerechnet dich? Nach einer Weile bekommst du eine Vorstellung davon, wie du sein solltest, damit die anderen dich mögen. Und du gibst dir auch Mühe, so zu sein. Dafür musst du dich verstellen. Nun gut, warum nicht? Aber du stellst fest, dass das nie lange klappt bzw. gut geht. Ziemlich bald hast du wieder irgendetwas getan oder gesagt, was mindestens Missbilligung hervorruft. Mit jemandem darüber sprechen kannst du nicht, denn schließlich mag dich niemand so, wie du bist. Selbst deine Eltern sind deine Kritiker, unter Umständen sogar die schärfsten. Du suchst nach Ursachen, Gründen. Du machst Planspiele. Du fragst dich, wie die Welt sein sollte, damit auch du glücklich wirst. Du wünschst dir andere Eltern, möchtest ausreißen, probierst Dinge aus, die man nicht ausprobieren sollte - und das alles nur aus einem Grund: um deinen Seelenfrieden zu finden, den alle anderen schon zu haben scheinen.
Mittlerweile bist du erwachsen geworden, hast mit Ach und Krach irgendeine Berufsausbildung bis zu Ende durchgezogen (oder auch nicht), hast sogar Freunde gefunden. Freunde, die einen ähnlichen
sozialen Erfahrungsschatz haben wie du, weil sie ebenfalls ADHS haben. Aber die große Frage deines Lebens ist immer noch nicht beantwortet. Du wunderst dich vielleicht noch über einige äußere
Dinge am Rande:
Vielleicht hast du auch schon, wenn deine Schwierigkeiten mit dir selbst und dem Leben größer als hier beschrieben waren, einen Psychologen aufgesucht, um mit ihm gemeinsam die Ursachen zu ergründen und Abhilfe zu schaffen. Wahrscheinlich bleib das ohne durchschlagenden Erfolg.
Eines Tages hast du vielleicht selbst Kinder und hast endlich die Gelegenheit, bei ihnen alles besser zu machen, als deine Eltern bei dir. Aber das funktioniert nicht so, wie du dir das vorgestellt hast. Die Kinder sind anstrengend, schwer erziehbar, widersetzlich, vielleicht unerträglich unruhig, ganz anders als anderer Leute Kinder. Und du fragst dich: Warum?
Irgendwann sagt dir jemand, diese Schwierigkeiten könnten ADHS sein. Und du beginnst zu lesen, alles, was du finden kannst.
Du hörst jetzt in dich hinein, beobachtest, vergleichst. Als nächstes suchst du einen Fachmann auf, der sich mit ADHS auskennt. Von diesem bekommst du, nach aufwendigen Untersuchungen, die Diagnose und hast wahrscheinlich die Möglichkeit, Ritalin zu nehmen. Du machst davon Gebrauch.
Und plötzlich sieht die Welt ganz anders aus. Die Uhren gehen langsamer, die Gedanken gehorchen, viele Erledigungen gehen auf einmal mühelos von der Hand. Du beginnst zu verstehen...
Du weißt jetzt, warum dich manche Gedanken nicht loslassen, sich aufbauschen und zu Ängsten, Zwängen oder Depressionen werden wollen. Du weißt jetzt, was dich daran hindert, die notwendigen Dinge
einfach zu tun, anstatt sie zu vermeiden, indem du dir 1000 andere Dinge aufhalst. Du weißt jetzt, warum du so schnell aufbraust anstatt gelassen zu reagieren ... Und du weißt, warum deine Kinder
so sind, wie sie sind.
Wenn du klug und gütig bist, lernst du es, diejenigen zu verstehen, die dich nie verstehen können, weil sie nicht wissen, wie ADHS ist. Du kennst jetzt nämlich beide Seiten!