Punkteplan in der Schule

Ein Versuch, die Verhaltensprobleme in den Griff zu bekommen

Idee

Wer das Buch "Wackelpeter und Trotzkopf" von M. Döpfner gelesen hat, kennt die Grundlagen der Strategie, die ich hier beschreibe. Bei ADHS geht mit Motivation alles und ohne Motivation nichts. Die Kunst ist es, das Kind zu motivieren.


Unser damals 9-jähriger Sohn war mit seiner ADHS gut eingestellt, litt aber seit einem Jahr unter epileptischen Anfällen, die medikamentös behandelt werden mussten. Die meisten Medikamente gegen Epilepsie sind aber gleichzeitig auch starke Beruhigungsmittel und das hat bei einem Menschen mit ADHS, der paradox auf Medikamente reagiert, katastrophale Nebenwirkungen. Mit einfachen Worten gesagt: die Epilepsie-Medis waren ADHS-Verstärker.

 

Im Folgenden beschreibe ich einen Ansatz, unsere damaligen Probleme in den Griff zu bekommen. Ich hatte schon früher zu Hause Punkteprogramme erfolgreich durchgeführt und war von dem Konzept überzeugt. Es kam jetzt nur darauf an, eine Version zu entwickeln, die in der Schule praktikabel war.

Durchführung

Ich kaufte ein Oktavheft und trug auf jeder Doppelseite den Stundenplan der Woche ein, ließ aber für jede Unterrichtsstunde noch Platz für eine Eintragung des Lehrers. Dazu schrieb ich:

Bitte Zutreffendes und Namenskürzel eintragen,
Danke!
 * Verhalten sehr gut
 +  Verhalten in Ordnung
 - Verhalten nicht in Ordnung
 ! Gesprächsbedarf


(! Gesprächsbedarf bedeutete, dass ich den Lehrer im Laufe des Tages anrufen sollte.)

Vorne im Heft hatte ich zwei Doppelseiten vorgesehen, wo jeder Lehrer seinen Namen, Fach, Telefonnummer, unter der er erreichbar war, und bevorzugte Uhrzeit des Anrufs eintragen konnte. Woche für Woche trug ich nun auf der nächsten Doppelseite den Stundenplan erneut ein. Um das Auffinden der richtigen Seite zu erleichtern, habe ich bei den vorangehenden Seiten einfach die untere Ecke abgeschnitten. So konnte man ohne Blättern und Suchen gleich die richtige Seite aufschlagen.

Bild: Fotokopie einer Seite im Oktavheft, wie oben beschrieben.

Mit meinem Sohn traf ich folgende Vereinbarung:

Er kümmert sich unaufgefordert darum, dass das Heft am Ende jeder Unterrichtsstunde dem Lehrer vorgelegt wird, damit dieser seine Eintragung macht. Wir schauen uns mittags das Heft an, zählen die Sternchen und sprechen darüber, wenn es ein Minus gab.

 

Außerdem haben wir uns zusammengesetzt, um eine Liste mit Belohnungen zu erstellen. Mein Sohn konnte seine Sternchen eintauschen gegen:

  • 30 Minuten Extrazeit für Fernsehen, Video- oder Computerspiele (5 *)
  • Essen gehen in einem Burger-Restaurant seiner Wahl (35 *)
  • Kinobesuch, Film seiner Wahl (dienstags 35 *, sonst entsprechend mehr)
  • Bowling (60 *, abhängig von Tag und Uhrzeit)
  • Minigolf (20 *)

Bei diesen Aktionen durfte Sohnemanns Bruder selbstverständlich teilnehmen. Das führte dazu dass er sich auch dafür interessierte, dass Sternchen zusammenkamen. Er unterstüzte seinen Bruder nach Kräften. Es war so niedlich, wie die beiden ernsthafte Gespräche darüber führten. Ich war sehr gerührt und stolz auf meine beiden Jungs. Den materiellen Wert eines Sternchens habe ich mit 10 Cent kalkuliert, sodass ich auch auf andere Wünsche, z. B. Spielzeug, eingehen konnte.

 

Argumente

Eine größere Hürde war für mich, alle Lehrer zur Mitarbeit zu bewegen. Es ist für ein Kind wenig einsichtig, wenn nur ein Teil der Lehrer mitmacht, ein anderer Teil sich weigert. Ich wartete den nächsten Elternsprechtag ab und machte mit allen Lehrern Gesprächstermine. Das Oktavheft nahm ich mit. Ich erklärte den Lehrern, dass ich einen Vorschlag habe, wie Sohnemanns Verhaltensprobleme in der Schule verbessert werden können. Die Methode sei von Fachleuten entwickelt worden und hätte sich anderweitig und auch schon bei uns zu Hause bestens bewährt.

Ich versprach, dass sie so gut wie keine Arbeit mit dem Punkteprogramm hätten, dass Sohnemann sich selbstständig darum kümmern muss, das Heft am Ende der der Stunde vorzulegen. Die einzige Aufgabe der Lehrer werde es sein, ein Sternchen, Plus oder Minuszeichen zu machen und ihr Namenskürzel dazuzusetzen, damit mein Kind nicht auf die Idee kommt, sich die Sternchen selbst zu geben. Außerdem hätten sie so eine schnelle Möglichkeit, mir mitzuteilen, dass ich anrufen soll.

Es kamen dann noch Argumente wie: "Das ist aber unmöglich, so etwas für alle Schüler zu machen." Meine Antwort: "Glücklicherweise sind nur wenige Schüler so auffällig, dass sie ein Punkteprogramm brauchen. Und es soll auch keine Dauereinrichtung werden, sondern eine vorübergehende Hilfe. Wenn man zusammenrechnet, wieviel Unterrichtszeit verloren geht, weil ein Kind stört, da kommt bestimmt viel mehr zusammen als ein paar Sekunden für den Eintrag im Oktavheft."

Wenn immer noch Bedenken auf Lehrerseite bestehen, kann man einen zeitlich befristeten Versuch vorschlagen und vereinbaren, sich danach über die gemachten Erfahrungen auszutauschen. Ich denke, vier Wochen, möglichst ohne Ferienpause, sollte man sich mindestens nehmen, bevor man Aussagen macht, ob es klappt oder nicht.

Der Vorteil dieses Punkteprogramms für ein Kind ist, dass es gleich am Ende einer Unterrrichtsstunde Rückmeldung bekommt, ob es sich gut benommen hat oder nicht. Schnelles Feedback ist für ADHS-KInder ganz wichtig, sonst haben sie längst vergessen, worum es überhaupt geht. Für uns Eltern ist es auch eine gute Hilfe bei der Eindosierung von Medikamenten oder um zu sehen, ob begleitende Therapien (Verhaltenstraining, Konzentrationstraining) Erfolg haben.

Erfahrungen

Das Ende eines solchen Punkteprogramms legt man klugerweise mit einem Ferienbeginn zusammen und bespricht das vorher mit den Lehrern und auch mit dem Kind.

 

In den ersten vier Wochen hatten wir gute Erfolge mit dem Punkteprogramm. Während dieser Zeit war die eigentliche Klassenlehrerin erkrankt und eine sogenannte Feuerwehrkraft hatte sie vertreten. Als die Klassenlehrerin wiederkam, ging es allmählich bergab. Mal hatte sie keine Zeit, am Unterrichtsschluss die Eintragungen zu machen. Hin und wieder hatte sie keinen Stift zur Hand. Es passierte sogar, dass sie aus Versehen das Oktavheft einsteckte und tagelang vergaß, es zurückzugeben.

 

Ein Schuljahr später versuchte ich dann mit einer anderen Klassenlehrerin, das Punkteprogramm wiederzubeleben, aber diese hatte eigene Vorstellungen davon, wie das auszusehen hatte. Sie kaufte ein Oktavheft und Aufkleber, und mein Sohn bekam jeden Mittag einen Aufkleber. Es gab einen großen für gutes Verhalten und einen kleinen für schlechtes Verhalten. Leider vergaß die Lehrerin, mir das zu erklären und ich sah nur, dass es jeden Tag einen Aufkleber gab und lobte mein Kind. Nach einigen Wochen wußte ich dann, was es mit den kleinen Aufklebern auf sich hatte. Kurze Zeit darauf waren der Lehrerin die großen Aufkleber ausgegangen und sie hatte nur noch kleine, die sie einkleben konnte. Das wußte ich aber nicht und so schimpfte ich tagelang mit meinem Kind, weil nur noch kleine Aufkleber im Heft waren.

 

Fazit: Alles steht und fällt mit der Bereitschaft der Lehrer, mitzumachen und sich konsequent im Sinne des Programms zu verhalten. Leider kann man Lehrer zu nichts zwingen. Wenn es aber gelingt, sie zu überzeugen und damit zur Mitarbeit zu gewinnen, hat man schon den halben Erfolg erreicht.