Diagnose

Eine seriöse, nämlich vorbehaltlose und ergebnisoffene Herange­hens­weise sammelt zunächst Befunde nach den Regeln der Kunst. Deren sorgfältige Abwägung und Interpre­tation ermöglicht dem Er­fah­renen abzuklären, ob ADHS vorliegt oder ausgeschlossen werden kann; bzw. welcher Schwere- und Ausprägungsgrad und welche der häufigen Zusatz- oder Folgestörungen vorliegen.

 

Die Diagnose ADHS wird wie nahezu alle psychiatrischen Diagnosen klinisch erhoben, also durch Beobachtung, Fragen, Gespräche und psychologische Tests. Es gibt bisher bei ADHS wie z. B. bei Depres­sionen, Zwängen, Wahn-, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen noch keinen spezifischen, zum eindeutigen Nachweis genügenden Messwert, Blutbestandteil und kein bildgebendes Verfahren.

 

Die beste diagnostische Vorgehensweise nach dem neuesten Stand wissenschaftlicher ADHS-Forschung ist für jeden in den Leitlinien der Fachgesellschaften zu ADHS nachzulesen.

 

Eine leitliniengerechte psychiatrische Diagnostik schließt sechs Le­bens- und Funktions-Bereiche (Achsen) ein, prüft die richtige Funk­tion der Organe und Sinne, klärt die Begabung/Intelligenz des Patienten ab, schaut auf die psychosozialen Verhältnisse in der Fa­milie und wie der Patient mit den an ihn gestellten Alltagsanforder­ungen im Vergleich zu seinen Altersgenossen zurechtkommt.

 

Daraus wird klar, dass nur ein Fachmann oder ein Team mit ent­sprech­ender Expertise die Diagnose ADHS sorgfältig stellen kann. Alternative Diagnostik ist untauglich, mitunter sogar gefährlich.

 

Wichtig dabei ist, dass die durch Gespräche, psychologische Tests und diagnostische Fragebögen erhobenen Befunde kritisch hinter­fragt werden und andere Ursachen für die vorliegenden Beschwer­den so sicher wie möglich ausgeschlossen werden.

 

Oft sind die Wege zu bewährten Facheinrichtungen lang und die Wartezeiten scheinen unzumutbar. Insgesamt ist die Versorgungsla­ge vor allem in der Fläche nach wie vor unzureichend. Deshalb hier einige Tipps zu der Fragestellung, wie man einen seriösen Diagno­stiker und Therapeuten erkennen kann. Dies ist auch deshalb nötig, weil ADHS zu einem profitablen Markt für diverse Anbieter alterna­tiver Vorstellungen und Therapien, für Heilsversprecher und Medizin­kritiker geworden ist.

 

Zudem quälen viele Eltern Ängste vor einer psychiatrischen Diagno­se für ihr Kind. Die aktuelle Medienberichterstattung verstärkt Vorbe­halte gegenüber Medikamenten bei der ADHS-Therapie, die in der Bevölkerung ohnehin schon vorhanden sind: Wer reißt sich schon um eine psychiatrische Diagnostik? Wer gibt seinem Kind schon gerne Therapie oder Medikamente?

 

ADHS kann das Leben und Zusammenleben sehr belasten. Die Eltern su­chen eine Diagnostik nicht zum Spaß auf, sondern weil sie erheb­lichen Leidensdruck verspüren. Niemand sollte Sie nur vertrösten oder einfach wegschicken, zumal ADHS-Patienten und ihren Fa­milien gut geholfen werden kann.

 

ADHS ist nach heutigem Wissen in hohem Maße angeboren und Ver­erbung spielt eine große Rolle. Deshalb ist es immer erforderlich auch die Eltern des Kindes auf eine eigene ADHS-Problematik hin zu untersuchen. Dies ist auch für die Auswahl zweckmäßiger Therapie­bausteine wichtig.

 

Obwohl die Diagnose ADHS in der Fachwelt weltweit unbestritten ist und von seriösen Medizinern oder klinischen Psychologen so sicher gestellt werden kann wie jede andere psychiatrische Diagnose, ist sie in der BRD noch relativ neu. Viele Diagnostiker kennen sich noch nicht gut aus, haben wenig Erfahrung mit der Problematik, sind durch die Medienberichterstattung selbst verunsichert oder haben den neuesten Entwicklungen in der Forschung gegenüber Vorbe­halte. Hierbei spielen auch standes- und interessenpolitische Pro­zesse mit, die der uninformierte Patient nicht kennen kann.

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Patientenrecht

http://de.wikipedia.org/wiki/Psychologische Diagnostik

 

Wichtige Kriterien zum Erkennen von Seriosität

  • Berufliche Qualifikation: z. B. Kinder- und Jugendpsychiater, Kin­derarzt oder Hausarzt mit einschlägiger Weiterbildung und Erfahrung, klinischer Psychologe
  • Arbeitet offen und kollegial mit Fachkollegen und weiteren Kom­petenzträgern zusammen
  • Erklärt auf Nachfrage, mit ADHS Erfahrung zu haben und nach den Leitlinien vorzugehen
  • Erklärt jeden Einzelschritt und das Vorgehen insgesamt
  • Beantwortet bereitwillig Fragen und ermuntert sogar dazu
  • Lässt anerkannte diagnostische Frage- und Beobachtungsbögen ausfüllen (Eltern, Erzieher, Lehrer), holt breit gefächert Infor­mationen ein
  • Stellt Fragen zu Auffälligkeiten im Familien- und Verwand­ten­kreis (auch aus deren Kindheit)
  • Äußert keine Vorbehalte oder Ablehnung gegenüber ADHS z.B.: "Modediagnose", "halte nichts davon", "Ausrede", "nur Eltern über­fordert" und anderweitige unqualifizierte Bemerkungen
  • Bagatellisiert nicht; nimmt Sorgen und Nöte von Eltern und Kind ernst, vertröstet nicht, wimmelt nicht ab: "abwarten, wächst sich noch aus", "nur etwas lebhaft", "ist halt noch etwas verträumt"
  • Lässt sich Zeit bei der Diagnose, klärt sorgfältig ab, prescht nicht mit Blickdiagnosen vor
  • Stellt schnell tragfähige Beziehung zum Patienten, Kind, Ju­gendlichen her, bietet sichere, geborgene Atmosphäre, vermittelt menschliche und fachkompetente Anteilnahme
  • Überfordert Patienten nicht mit zu umfangreichen oder zu langen Prozeduren
  • Strukturiert klar und führt freundlich Eltern und Patient durch Dia­gnostik und Therapie
  • Sieht nicht nur Schwächen und Beschwerden sondern betont auch Stärken (Ressourcen)
  • Patient-Behandler-Eltern-Beziehung ist partnerschaftlich; Aussa­gen, Wünsche, Ängste und Ziele von Patient und Eltern werden ernst genommen; dies wird ihnen auch spürbar vermittelt
  • Erkennt Eltern zunächst als Experten für ihr Kind an, die mehr als jeder andere ihr Kind kennen und lieben; die beschränkte Zeit der Diagnostik kann nur einen begrenzten Einblick bringen
  • Fixiert sich nicht auf Einzelbefunde wie z. B. einen "schlechten" Inte­lli­genz­test sondern berücksichtigt Gesamteindruck, Mitar­beits­bereitschaft, Stimmung und Tagesform des Patienten
  • Bespricht Befunde und Folgerungen verstehbar mit Patient und Eltern; geht auf Bedenken ein
  • Orientierung an praktischen, zeitnahen Lösungen; Verzicht auf (schnelle) Schuldzuschreibungen
  • Kann zuhören und eventuelle Fehlschlüsse korrigieren
  • Bedient sich einer verständlichen Sprache; prüft nach, ob wirk­lich alles verstanden wurde
  • Kann mit berechtigten Anliegen oder kritischen Einwänden kon­struktiv umgehen
  • Beantwortet Fragen direkt und auf das Problem bezogen und nicht mit Umschweifen oder Gegenfragen wie z. B.: "Warum mei­nen Sie jetzt, das fragen zu müssen?"
  • Aufklärung über Risiken und Chancen von Behandlung und evtl. Folgen der Unterlassung
  • Patient und/oder Eltern erkennen sich und ihre Situation in Dia­gnose und Beschreibung des Diagnostikers wieder; Therapie­ziele werden gemeinsam nach Dringlichkeit erarbeitet
  • Die aus der Diagnose abgeleitete Therapie bringt spürbar Ent­lastung und Besserung
  • Therapie wird den Bedürfnissen des Patienten über die Zeit an­ge­passt
  • Therapie wird den realistischen Möglichkeiten von Patient und Familie angepasst
  • Patient, Eltern und gegebenenfalls Schule bekommen Stö­rungsbildverständnis vermittelt
  • Kompetenzen (Ressourcen) von Patient und Familie werden konsequent genutzt und verstärkt
  • Schmiedet aus Patient, Familie und evtl. Schule ein Team, das an einem Strang zieht

(Dr. Rupert Filgis)