Aushalten und Standhalten

Zur Erziehung von (schwierigen) Kindern gehören ganz zentral zwei Aspekte:

Aushalten und Standhalten.

Als Gedankenstütze vielleicht ein Bild:

Stellen Sie sich eine Brücke über eine tiefe Schlucht vor (klicken Sie den Link http://extremwetter.ch/images/trift/11.jpg ruhig mal an). Sie sollen / müssen darüber gehen. Die Brücke sieht schmal und wackelig aus und Sie trauen der Sache nicht so recht, obwohl die Einheimischen Ihnen versichern, dass die Brücke seit Generationen hält und sicher ist. Was tun Sie also?
Erst mal an den Seilen rütteln? Die halten ... OK ... Den ersten Fuß auf die Brücke? Naja, geht so ... den zweiten Fuß hinterher ... ganz vorsichtig. Jetzt mal etwas fester auftreten ... stampfen ... rütteln ... sie hält immer noch ... drei / vier Schritte gehen ... sie hält ... hüpfen ... wie viel Erschütterung hält die Brücke aus? Gibt sie nicht doch irgendwann nach? Rennen ... mit voller Wucht und vollem Gewicht ... wenn die Brücke jetzt immer noch hält, dann wissen Sie: Sie können der Brücke und den Einheimischen vertrauen.
Gibt die Brücke aber unter zu viel Druck doch nach, werden Sie nie wieder über eine solche Brücke gehen, und den Einheimischen kein Wort mehr glauben.

Zurück vom Bild in die Realität:
Ein Kind hat sicherlich Angst vor vielem, vor allem vor Neuem, Unbekanntem. Es traut sich quasi nicht auf die Brücke ... Und es testet mit seinem Verhalten, mit seiner Verweigerung Ihre Standfestigkeit. Wie lange kann / muss ich mich aufführen, bis die Erwachsenen wieder umfallen? Wie ernst meinen sie es, wenn sie sagen: "Du sollst ... in die Schule, in diese Klinik, das Gemüse essen" etc.? Es muss die Erfahrung machen dürfen, dass Sie standhalten, dass das, was Sie sagen, Gültigkeit hat. Egal, wie sehr das Kind rüttelt und stampft und rennt und tobt. Ihr Wort steht fest und hält und trägt, wie die Brücke, ... nur so schafft das Kind den Weg über den Abgrund.
Das hat nichts mit Zwang im negativen Sinn zu tun. Es geht ums Standhalten (nämlich der kindlichen Verweigerung), um Festigkeit (in Ihrer Entscheidung und Ihrem Wort) und ums Durchtragen (Sie geben nicht auf, lassen sich nicht beeindrucken von den Macken, tragen es durch seine Ängste, Emotionen, bis ans Ziel, das Sie vorgeben!)
Wenn Sie auf halber Strecke aus falsch verstandenem Mitleid immer wieder einknicken, weil das Kind genug Theater gemacht hat, entsteht genau das Gegenteil von Vertrauen. Dann lernt es höchsten, dass Ihre Forderungen und Worte nichts wert sind. Und Vertrauen gewinnt es dann bestenfalls in seine Fähigkeit sich zu verweigern und Sie zu manipulieren (denn das hat bisher immer funktioniert). Und das wäre dann wirklich fatal!

Eigentlich geht es gar nicht so sehr darum, was das Kind sich alles einfallen lässt, wie sehr es sich aufführt, wie beharrlich es sich verweigert etc. Das ist lediglich sein "Testinstrumentarium" für Ihre  Fähigkeit, standzuhalten.

Die entscheidende Frage ist vielmehr: Was passiert danach!? Wenn aller Zorn rausgeschrien und rausgerannt ist, die Erwachsenen und es selbst blaue Flecken haben vom Festhalten oder um sich hauen oder der Teller Nudeln an die Wand geflogen ist ... gilt Ihr Wort dann trotzdem noch? Sagen Sie ihm dann wieder ... ganz ruhig, aber fest: "Du kannst Dich aufführen, wie Du willst, und wir lieben Dich trotz allem ... aber du gehst morgen in die Schule, du gehst in diese Klinik, es gibt heute nur dieses Gemüse zu essen und nichts anderes." Oder knicken Sie ein und überlassen am Ende ihm die Führung (was für ein Kind bedrohlich ist): "Ich zwinge Dich nicht ... du musst nicht in die Schule, in die Klinik, ich mache dir eine von den vier Speisen, die du noch isst ..."

Es ist gut gemeint, ein Kind nicht zwingen oder beherrschen zu wollen. Aber Nachgeben wird es im Innersten zutiefst verunsichern. Gerade Kinder mit ADHS brauchen mehr als andere Führung, einen engen Rahmen und Berechenbarkeit. Und das gilt nicht nur für Äußerlichkeiten wie Tagesablauf und Alltagsroutinen. Das gilt im Besonderen auch für das verlässliche, beharrliche, liebevoll - unnachgiebige Verhalten der Erwachsenen um sie herum. Das Kind weiss nicht, wie weit Sie  standhalten. Und deshalb lotet es diese Grenze immer wieder auf's Neue aus. Wenn es sicher sein kann, dass Sie immer meinen und tun, was Sie sagen, dann bekommt es Sicherheit und kann echtes Vertrauen gewinnen. Vielleicht kann es die Führung dann Ihnen überlassen und muss sich nicht mehr verweigern.