Ist Prävention bei ADHS möglich?
Hyperaktivität ist das auffälligste Symptom, tritt aber in vielen Fällen gar nicht auf. Insofern ist der Name Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Störung irreführend. ADHS ist eine Störung sämtlicher Exekutiv-Funktionen: Konzentration, Selbststeuerung, Selbstdisziplin, Aufmerksamkeit, Grob- und Feinmotorik, usw., aber auch der emotinalen Kontrolle. Es bestehen Zusammenhänge zur Legasthenie und Dyscalculie, Ticstörungen, Asperger Autismus und mehr, die noch näherer Erforschung bedürfen. ADHS wird in ursächlichem Zusammenhang gesehen mit einem veränderten Neurotransmitterstoffwechsel. Im Vergleich zur Normalbevölkerung bauen Menschen mit ADHS Dopamin zu schnell ab und haben deswegen einen dauerhaft niedrigeren Spiegel. Damit lassen sich die Symptome schlüssig erklären.
Nicht jede Hyperaktivität oder Unaufmerksamkeit ist auf eine ADHS zurückzuführen. Es gibt viele Gründe, warum Kinder unruhige Plagegeister sein können. Soziale Belastungssituationen (z. B. ein Todesfall oder die Trennung der Eltern) können zum Verwechseln ähnliche Symptome hervorrufen.
Es gibt aber auch körperliche Ursachen, z. B. eine Fehlfunktion der Schilddrüse. Es würde diesen Rahmen sprengen, wenn ich jetzt detailliert darauf eingehen würde. Wichtig ist, dass eine sorgfältige Diagnose nur durch einen fachlich qualifizierten Arzt gemacht werden kann. ADHS ist eine medizinische Diagnose, die nicht von Pädagogen, Lehrer, Therapeuten, Psychologen usw. gestellt oder verworfen werden kann. Dafür fehlt diesen Berufsgruppen die fachliche Ausbildung.
Mittlerweile sind viele Gene bekannt, die an der Enstehung von ADHS beteiligt sind, daher ist das Störungsbild individuell sehr verschieden. Man unterscheidet hier in Deutschland grob in ADHS vom vorwiegend unaufmerksamen Typ, vom vorwiegend hyperaktiven Typ und eine Mischform, die beides hat.
ADHS verändert sich im Laufe des Lebens. Jeder weiß, dass Kleinkinder unruhiger sind als Teenager. Und es ist eine unbestrittene Tatsache, dass aus zappeligen Kindern ruhige Erwachsene werden. Das war auch der Grund, warum man lange Zeit annahm, dass diese Störung sich "auswächst". Monentan ist es das Ziel aktueller Forschung, die Veränderungen der ADHS-Symptome im Verlauf der Lebensjahre (sog. Symptomshift) genauer zu beschreiben.
ADHS ist eine dimensionale Störung, man kann sie viel oder wenig haben (wie Übergewicht oder Bluthochdruck). Der Übergang von Normalität zur Störung ist fließend.
Ja und nein: Genetisch betrachtet gibt es heute wohl genauso viel ADHS wie vor 100 Jahren. Verändert hat sich unsere Lebensweise und die Anforderungen der Gesellschaft an ihre Mitglieder. Heute werden weniger Kinder geboren und deren Aufwachsen sorgfältiger überwacht. Wir sind leistungs- und bildungsorientiert, andere Kompetenzen werden weniger geschätzt als früher.
Wir leben in einem Überangebot an allem: Lebensmittel, Konsumgüter, Unterhaltung, Information.
Diese permanente Reizüberflutung sorgt für äußere und innere Unruhe und weiteren Reizhunger. Wir streben ständig nach Neuem, Besserem, Veränderung, Abwechslung. Traditionen und Bewährtes sind altmodisch und langweilig.
Bei Kindern, bei denen eine AHDS erkannt wurde, gab es in der Vorgeschichte häufiger Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen und Frühgeburten. Die Mütter haben überdurchschnittlich oft geraucht oder Alkohol getrunken. Wie das im Einzelnen zusammenhängt, was Ursache und was Wirkung ist, darüber streitet sich die Fachwelt. Auch psychische Belastungen, Stress, Ängste, ungewollte Schwangerschaft und schwere Beziehungsprobleme gelten als Risikofaktoren. Eine zu frühe Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt wird als traumatisierend erlebt.
Da man festgestellt hat, dass eine ADHS familiär gehäuft auftritt, liegt es nahe, dass sie erblich ist. Die "ADHS-Veranlagung" ist demzufolge bereits bei Säuglingen vorhanden. Natürlich lässt sich in diesem Alter noch keine Diagnose stellen. Aber es gibt bestimmte Auffälligkeiten, die viele Kinder, bei denen später eine ADHS diagnostiziert wurde, bereits jetzt häufig zeigen:
Das alles belastet das Verhältnis Eltern-Kind, weil ein zufriedenes Zusammenleben kaum möglich ist. Eltern fühlen sich hilflos, als Versager, reagieren mit Selbstvorwürfen, Selbstzweifeln, Rückzug, Ignorieren, Gleichgültigkeit, Aggressionen. So kommt es zu einer gestörten Interaktion, die vermutlich zu weiteren Problemen führen wird.
Das Kind möglichst nicht mit seinem Schreien alleine lassen, denn es leidet tatsächlich, es braucht Trost und Zuwendung. Die Eltern können ihm das Unwohlsein nicht abnehmen, aber sie können ihm wenigstens das Gefühl geben, dass es nicht allein gelassen wird.
Reizüberflutung für das Kind vermeiden (das kann sogar schon ein Radio im Hintergrund sein). Man muss sorgfältig beobachten, was das Kind verträgt und was nicht.
Nie stören, wenn es schläft!
Einen gleichmäßigen Lebensrhytmus ohne Ausnahmen anstreben. (z. B. immer zur selben Tageszeit spazieren gehen, Rituale schaffen und Abläufe immer gleich gestalten: füttern -> wickeln ->
spielen -> schlafen, ...)
Das ist manchmal gar nicht so einfach. Aber besonders anstrengende Kinder brauchen eine besonders intensive Betreuung, und das kann niemand alleine schaffen. Vielleicht gibt es Großeltern, Tanten oder Nachbarn, die mithelfen. Wer es sich finanziell leisten kann, kann sich Entlastung durch eine Kinderbetreuung (Tagesmutter) verschaffen.
Vielleicht gibt es eine Schreiambulanz in der Nähe, dort findet man Rat. Selbsthilfegruppen suchen, wenn es keine spezielle Gruppe für Eltern von Schreibabys gibt, dann ruhig die für ADHS nehmen. Dort kennt man sich meistens auch mit Schreibabys aus.
Familien- oder Erziehungsberatungen, SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) oder auch das Jugendamt um Hilfe bitten. Bei den Krankenkassen nachfragen, was dort an Hilfen angeboten wird. Im Internet gibt es Webseiten und Foren, wo sich die Eltern von Schreibabys treffen und gegenseitig unterstützen.
Das Schreien hat zwar nachgelassen, aber das Kind ist immer noch genauso anstrengend wie im ersten Jahr. Immer noch gilt es, alle Möglichkeiten zu nutzen, um selbst bei Kräften zu bleiben.
Pädagogisch:
Die Umgebung sicher machen. Es ist ungesund, dauernd auf dem Sprung zu sein, weil der Nachwuchs wieder etwas ausfressen könnte.
(Nur wenige) Regeln aufstellen und geduldig, aber hartnäckig einfordern.
Weniger reden, mehr handeln. (Beispiel: Kind reißt immer wieder Tapeten ab. Dann wird es für eine halbe Stunde in den Laufstall in die Nähe der Mutter gesetzt.)
Über kindliche Wut- und Trotzanfälle gelassen hinweggehen.
Loben statt Schimpfen! Das hat doppelten Nutzen, denn einerseits merkt man so, dass die Kinder auch gute Seiten haben, andererseits wirken positive Verstärker besser als negative.
Struktur geben und Rituale pflegen, dem Kind die Orientierung im Alltag so leicht wie möglich machen.
Selbst ein gutes Vorbild abgeben und sich an die eigenen Regeln halten.
Therapeutisch:
Und das immer und immer wiederholen, solange das Kind Spaß daran hat. Das mag jetzt albern erscheinen, aber diese Beschäftigungen trainieren sehr viele Fähigkeiten, die bei AHDS oft nur wenig ausgeprägt sind. Und Kinder lieben Wiederholungen.
Für sich selbst:
Genügend Auszeiten nehmen, (Sport, Kultur, Freundschaften). Nur Eltern, die bei Kräften sind, haben genug Power, um dem anstengenden Alltag standzuhalten.
Erziehungskompetenz optimieren (Bücher, Elterntraining)
Den Humor nicht verlieren: Die Lausebengel
TV:
Es gibt keinen Beweis, dass Fernsehen für die gesunde Entwicklung von Kleinkindern nötig ist. Es gibt aber einiges, was dagegen spricht:
Das Kind
Kindergarten
Das offene Konzept mit freien Gruppen, freiem Spielen, freiem Basteln, freiem Frühstück ist Gift für Kinder, die zu ADHS neigen. Auch wenn ausgerechnet sie am ehesten gegen Strukturen rebellieren, ist das verbindliche Angebot für sie besonders wichtig. Es soll Kinder geben, die haben in 3 Jahren Kindergartenzeit kein einziges Mal eine Schere angefasst. Das sind schlechte Bedingungen für den Schulstart.
Die äußere Ordnung im Kindergarten ist wichtig. Immer zur gleichen Zeit anfangen, immer zur gleichen Zeit frühstücken, Kindergärtnerinnen, die darauf achten, dass Kinder sich die Zähne putzen, dass sie sich erst die Jacke anziehen, dann rausgehen, usw.
Das Angebot an Bewegungsspielen vergrößern, Stelzen, Hüpfspiele, Murmeln, Ball- und Laufspiele. Und es muss verbindlich sein, nicht freiwillig.
Es sollten mehr Lieder, Gedichte, Reime gemeinsam gemacht werden, auch das verbindlich für die Kinder.
Und viele Wiederholungen sind nicht langweilig, im Gegenteil. Es macht Kindern Freude, Gelerntes anzuwenden.
Wir brauchen eine Re-Form des Kindergartens, und das müssen die Eltern einfordern.
Zu Hause
Auch hier sind kleine Pflichten wichtig: Tisch decken, Müll raustragen, oder ähnliches.
Gemeinsam Alltagsarbeiten erledigen (nichts ist so kommunikativ wie den Abwasch zusammen erledigen).
Viel rausgehen mit den Kindern. Im Wald kann nichts kaputt gehen und sie können dort powern und spielen.
Kinderturnen, musizieren (aber ohne Ehrgeiz), singen, Reime und Gedichte aufsagen, vorlesen und von den Streichen aus der Kinderzeit anderer Erwachsener erzählen, basteln,
Erziehungskompetenz optimieren (Bücher, Elterntraining).
Hilft das alles nicht ausreichend, dann ist der Kinderarzt der richtige Ansprechparner. Ggf. wird er an ein pädiatrisches Zentrum überweisen. Es gibt Möglichkeiten der Frühförderung: Ergotherapie, Wahrnehmungstraining, Psychomotorik, usw. Welche Maßnahme richtig ist, muss im Einzelfall entschieden werden.
Hier gilt das gleiche wie im Kindergarten: Offene Konzepte sind nichts für Kinder, die zu ADHS neigen. Sie sind ohnehin Weltmeister im Vermeiden und es fällt ihnen sehr schwer, ungeliebte Arbeiten anzugehen. Wenn man ihnen dann noch freistellt, das aufzuschieben, dann kann sich jeder selbst ausmalen, wo das endet. Zu viel Abwechslung tut ihnen nicht gut, eine zu bunte Umgebung auch nicht. Früher hat man die Fenster von Klassenräumen im unteren Bereich weiß gestrichen, damit die Kinder besser aufpasen können. Das soll mal heute einer vorschlagen ...
Engen Kontakt mit den Lehrer halten, Hausaufgaben strukturieren (in kleine Abschnitte einteilen, dazwischen Bewegungspausen) Für ADHS im Grundschulalter gibt es mittlerweile sehr viele gute Bücher.
Prävention bei ADHS ist möglich, kostet in vielen Fällen nur wenig Geld, hat aber leider ihre Grenzen. Man kann in schwerwiegenden Fällen eine ADHS nicht verhindern, aber man kann Fehler, die die Symptomatik noch schlimmer machen, vermeiden. Und in dem einen oder anderen Grenzfall lässt sich eine "leichte ADHS" vielleicht auch erfolgreich in den Griff bekommen.